Wie heiß ist es in deiner Hölle?

Wie heiß ist es in deiner Hölle?

"Ach, so gut wie du hätte ich es auch gerne."
Ein Satz. Neun Worte. Und ein Dolchstoß ins Herz für jeden, der ihn hört.
Wir alle kennen ihn. Wir alle haben ihn schon gehört. Und wenn wir ehrlich sind, haben wir ihn alle schon gedacht. Oder sogar gesagt.
Wir sehen die erfolgreiche Unternehmerin, die über den Stress klagt, und denken: "Stress? Mit dem Geld? Ich würde sofort tauschen."
Wir hören die junge Mutter, die über schlaflose Nächte jammert, und denken: "Sei doch froh, dass du Kinder hast. Andere können keine bekommen."
Wir lesen von dem Millionär, der an Depressionen leidet, und denken: "Mit dem Geld wäre ich der glücklichste Mensch der Welt."
Wir vergleichen. Wir bewerten. Wir urteilen. Und wir vergessen dabei eine fundamentale Wahrheit:
Leid ist nicht vergleichbar.
Schmerz ist keine olympische Disziplin. Es gibt keine Goldmedaille für das schlimmste Schicksal. Es gibt keine Skala, auf der wir das Leid eines Menschen objektiv messen können.
Deine Hölle ist deine Hölle. Und meine Hölle ist meine Hölle. Und niemand kann wirklich wissen, wie heiß es in der Hölle des anderen ist.

Die Illusion der äußeren Umstände

Wir sind süchtig nach der Illusion, dass äußere Umstände unser inneres Erleben bestimmen. Dass ein volles Bankkonto automatisch ein volles Herz bedeutet. Dass eine glückliche Beziehung automatisch ein glückliches Leben bedeutet. Dass ein gesunder Körper automatisch eine gesunde Seele bedeutet.
Aber das ist eine Lüge.
Die Hölle ist kein Ort. Sie ist ein Zustand. Ein innerer Zustand. Und wir erschaffen ihn selbst. Jeden Tag. Mit unseren Gedanken. Mit unseren Überzeugungen. Mit unseren unerfüllten Erwartungen.
Die Hölle der Unternehmerin ist vielleicht die ständige Angst, alles zu verlieren. Der Druck, immer stark sein zu müssen. Die Einsamkeit an der Spitze.
Die Hölle der Mutter ist vielleicht der Verlust ihrer eigenen Identität. Die Überforderung. Das Gefühl, nie genug zu sein.
Die Hölle des Millionärs ist vielleicht die Erkenntnis, dass Geld nichts heilt. Die Leere. Die Sinnlosigkeit.
Wer sind wir, zu urteilen? Wer sind wir, zu sagen: "Deine Hölle ist nicht so heiß wie meine"?

Die Arroganz des Vergleichs

Jedes Mal, wenn wir den Schmerz eines anderen abtun, weil seine äußeren Umstände "besser" sind als unsere, begehen wir einen Akt der Arroganz.
Wir sagen damit: "Ich weiß besser als du, wie du dich zu fühlen hast." Wir sagen: "Dein Schmerz ist nicht valide." Wir sagen: "Hör auf zu jammern und sei dankbar."
Aber Dankbarkeit heilt keinen Schmerz. Und Vergleich heilt keine Wunde. Er macht sie nur tiefer.
Denn der Mensch, dessen Schmerz wir abtun, fühlt sich nicht nur schlecht – er fühlt sich auch noch schuldig dafür, dass er sich schlecht fühlt. Er fühlt sich allein. Unverstanden. Falsch.
Und das ist die wahre Hölle. Nicht der Schmerz selbst. Sondern die Isolation im Schmerz.

Der Weg aus der Hölle: Radikale Empathie

Wie also entkommen wir dieser Hölle des Vergleichs? Wie lernen wir, den Schmerz des anderen zu ehren, auch wenn wir ihn nicht verstehen?
Die Antwort ist radikale Empathie.
Empathie bedeutet nicht Mitleid. Mitleid sagt: "Oh, du Arme/r." Empathie sagt: "Ich sehe dich. Ich fühle dich. Dein Schmerz ist real."
Empathie bedeutet nicht, dass wir die Probleme des anderen lösen müssen. Es bedeutet nur, dass wir da sind. Dass wir zuhören. Ohne zu urteilen. Ohne zu bewerten. Ohne Ratschläge zu geben.
Was du tun kannst:
1.Hör auf zu vergleichen. Jedes Mal, wenn du dich dabei ertappst, wie du dein Leben mit dem eines anderen vergleichst, halte inne. Erinnere dich: Du siehst nur die Fassade. Nicht das, was dahinter liegt.
2.Stell Fragen statt zu urteilen. Wenn jemand über seinen Schmerz spricht, sag nicht: "Ach, das ist doch nichts." Sag: "Das klingt hart. Wie fühlt sich das für dich an?"
3.Erkenne deinen eigenen Schmerz an. Oft tun wir den Schmerz anderer ab, weil wir unseren eigenen nicht fühlen wollen. Erlaube dir, deinen eigenen Schmerz zu fühlen. Ohne ihn zu bewerten. Ohne ihn mit dem Schmerz anderer zu vergleichen.
4.Sei ein sicherer Hafen. Sei der Mensch, bei dem andere sich trauen, verletzlich zu sein. Der Mensch, der zuhört, ohne zu urteilen. Der Mensch, der einfach nur da ist.
Die Hölle ist nicht das Feuer. Die Hölle ist die Kälte der Isolation.
Und der Himmel ist nicht ein Ort ohne Schmerz. Der Himmel ist ein Ort, an dem unser Schmerz gesehen, gehört und gehalten wird.
Von anderen. Und vor allem: von uns selbst.
Wie heiß ist es in deiner Hölle? Und wer darf sie sehen?
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